Blüten und Pestizide

Stichproben haben gezeigt, dass viele in der Schweiz verarbeitete und verkaufte Blumen mit Pestiziden belastet sind, zum Teil mit Substanzen, die hierzulande verboten sind – für Floristen nicht unbedenklich!

Dieser Artikel erschien im Fachmagazin Florist:in (Ausgabe 01/2023) unter dem Titel «Blüten und Pestizide»

 

Wann immer möglich, zieht Evelyn Krebs von «Stil & Stiele» bei der Arbeit mit den Schnittblumen Handschuhe an. Der Znüni-Apfel wird nicht mit dem Floristenmesser geschnitten, und parallel zur Arbeit wird in ihrem Floristikatelier nichts gegessen. «In der Branche ist noch viel zu wenig bekannt, wie stark Blumen mit Pflanzenschutzmitteln belastet sind», sagt sie. Schon in der Ausbildung lernen Floristinnen und Floristen, dass sie Hautschutzmittel oder Handschuhe verwenden, Hände, Werkzeug und Arbeitsbereich regelmässig reinigen und die Schutzschicht der Haut mit speziellen Crèmes pflegen sollten.

 Vor Valentin reden alle davon

 Eigentlich arbeiten Floristinnen und Floristen mit dem schönsten Werkstoff der Welt, doch manchmal ist dieser Werkstoff, die Blumen, nur fürs Auge schön. Behandelt mit Fungiziden und Insektiziden verbleiben Rückst.nde an den Stielen, an Blättern und Blüten. Schnittblumen werden in der Regel bis zur Ernte gegen Schädlinge und Krankheiten behandelt, oft mit sehr giftigen Chemikalien, und dann direkt verschifft. Internationale Zertifikate wie Global G.A.P. (Good Agricultural Practice), welches mit seinem Qualitätsund Sicherheitsstandard einige Umweltund Sozialkriterien berücksichtigt, sind die Ausnahme. In den Medien wird die Pestizidbelastung von Schnittblumen regelmässig thematisiert – meist vor wichtigen Floristik- Terminen wie dem Valentinstag. Doch letzten September hat ein Bericht des Radio Television Suisse (RTS) in der Sendung «A Bon Entendeur» für Aufsehen gesorgt. Für den Beitrag hat RTS elf Sträusse von CHF 5.95 (Lidl) bis CHF 28.90 (Agrola) bei den Grossverteilern oder an Tankstellenshops gekauft und auf Pestizide untersucht. Ein einziger Strauss war «sauber». Alle anderen wiesen mindestens eine in der Schweiz nicht zugelassene Substanz auf.

In der Schweiz gelten strenge Regeln 

Blumen sind keine Lebensmittel wie Obst oder Gemüse. Deswegen gibt es keine rechtlichen Regelungen über die maximale Belastung mit chemisch wirksamen Stoffen oder Rückstände von Pflanzenschutzmitteln. Hierzulande gelten strenge Regeln, was den Pflanzenanbau anbelangt. Immer mehr Stoffe werden verboten. Die meisten Konsumentinnen und Konsumenten wissen inzwischen, dass es zwischen dem Rückgang an bestäubenden Insekten und dem Einsatz von synthetischen Pflanzenschutzmitteln eine direkte Verbindung gibt. Werden Insekten wahllos vernichtet, wirkt sich das auf das gesamte Ökosystem aus – mit fatalen Auswirkungen nicht nur auf die Lebensmittelproduktion für den Menschen. Die Schweiz, das Fürstentum Liechtenstein und die EU bilden einen gemeinsamen pflanzengesundheitlichen Raum, in dem Pflanzenmaterial grundsätzlich frei gehandelt werden kann. Phytosanitäre Kontrollen sind davon ausgenommen. Mit ihnen will man die Einschleppung und Verbreitung von Pflanzenkrankheiten und -schädlingen in neue Gebiete schon an den Grenzen verhindern. Diese Stichproben testen die Pflanzen jedoch nicht auf Pestizide.

Verbotene Substanzen in Sträussen

Was den Einsatz von Pflanzenschutzmittel innerhalb der Schweiz betrifft, müssen sich die Produzierenden an die vom Bund ausgesprochenen Reglements halten. Allerdings es ist sehr wohl möglich, dass Schnittblumen mit hierzulande verbotenen Substanzen aus dem Ausland importiert werden. Denn es sind die Gesetze in den Erzeugerländern – meist Afrika oder Südamerika –, die festlegen, welches Pflanzenschutzmittel in einer Kultur verwendet werden darf und welches nicht. Ausländische Produzenten, die ihre Schweizer Kunden nicht verprellen wollen, richten sich zwar in der Regel nach den hiesigen Erfordernissen. Und doch wurden an neun von elf Blumensträussen, die das RTS untersucht hat, verbotene Substanzen gefunden. Der Strauss mit der höchsten Anzahl an Pflanzenschutzmitteln wies insgesamt 38 Pestizide auf, darunter 8 Stoffe, die für den Anbau in der Schweiz verboten sind. Wie kann das sein? Wird ein bestimmtes Produkt in der Schweiz verboten, passen die meisten Länder, die Schnittpflanzen für den europäischen und damit auch den Schweizer Markt produzieren, intern ihre Richtlinien nach Vorgaben der EU an. Je nach Staat kann das aber sehr lange dauern – falls es überhaupt geschieht. Hinzu kommen die fehlenden Kontrollen. Selbst wenn einige Einzelhändler verlangen, dass das von ihnen verkaufte Produkt frei von bestimmten chemischen Mitteln ist, und ihre Lieferanten auffordern, das Produkt auf diese  Stoffe zu deklarieren oder zu testen: Eine bindende Test-Verpflichtung gibt es nur in den seltensten Fällen. Was bedeutet das nun konkret? Neben den verheerenden Auswirkungen auf die Umwelt kann der Einsatz chemischer Pestizide auch für diejenigen, die täglich mit den Blumen in Berührung sind, ein Risiko sein. Also für die Menschen in den Erzeugerländern. Und auch für Floristinnen und Floristen.

Kein Kontakt ohne Handschuhe

Der Hautarzt Fritz Lax aus Iserlohn in Norddeutschland ist auch als Allergologe tätig und betreut zahlreiche Patientinnen und Patienten mit berufsbedingten Handekzemen. Zu den Substanzen, die das RTS in «A Bon Entendeur» gefunden hat, kann er nichts sagen. Sehr wohl kennt er aber Fälle von Kontaktallergien bedingt durch Pyrethrum. Dabei handelt es sich um ein Insektizid, das aus den getrockneten Blüten von Chrysanthemen-Arten (Tanacetum cinerariifolium) gewonnen wird. Sein Rat: Egal, mit welchen Schnittpflanzen ein Florist, eine Floristin es zu tun hat: «Ohne Handschuhe», sagt er, «darf das Arbeitsprodukt nicht angefasst werden.» Evelyn Krebs von «Stil & Stiele» beschäftigt zwei Auszubildende. Dass die Blumen schädigende Substanzen aufweisen können, ist ein Thema, das sie häufig mit ihnen bespricht. Generell sieht sie die Produzenten in der Pflicht darzustellen, mit welchen Mitteln die Pflanzen behandelt wurden. Und noch mehr: «Die Lieferanten müssten uns Floristinnen unbedingt zu erkennen geben, woher die Pflanzen überhaupt stammen.»

Pestizid-Rückstände im Körper

Die Wissenschaftlerin Khaoula Toumi von der Universität Lüttich hat zwischen 2016 und 2019 mehrere Forschungsarbeiten zum Thema «Pestizide und Schnittpflanzen » veröffentlicht. In einer Studie hat sie 20 Floristen gebeten, für zwei bis drei Stunden am Tag Handschuhe zu tragen und ganz gewöhnlich ihrem Tagesgeschäft nachzugehen, also mit den Blumen zu arbeiten, die sie von ihren Grosshändlern beziehen. Die Handschuhe hat die Forscherin danach in einem Labor auf Chemikalien untersucht. Dabei hat sie über 107 verschiedene Chemikalien gefunden, darunter Insektizide und Fungizide, die gefährliche chronische Auswirkungen haben können, wenn man ihnen über einen längeren Zeitraum ausgesetzt ist. Die Konzentration dieser Chemikalien war sogar 1000-mal höher als bei Lebensmitteln. 2019 ist Khaoula Toumi einen Schritt weiter gegangen: Stichprobenartig hat sie den Urin von Floristinnen untersucht und mit demjenigen einer Nicht-Floristen-Gruppe verglichen. Sie fand 70 verschiedene Rückst.nde von Pestiziden, im Durchschnitt 8 pro Person. Blumen mögen der schönste Werkstoff der Welt sein. Bislang gibt es aber keine wissenschaftlichen Studien darüber, was genau die Pestizide im Körper von Floristinnen und Floristen auslösen oder bewirken können. Vielleicht nichts, vielleicht vieles.

Download Original-Artikel «Blüten und Pestizide», Fachmagazin Florist:in, Ausgabe 01/2023

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