Die Krux mit den Schweizer Blumen

Die inländische Schnittblumenproduktion hat trotz grosser Nachfrage einen schweren Stand. Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine Spurensuche.
Dieser Artikel erschien im Fachmagazin Florist:in (Ausgabe 07/08 2023)
Coop wirbt mit «Miini Region», bei der Migros heisst es «Aus der Region, für die Region». Saisonale und regionale Produkte liegen hoch im Kurs. Und das macht Sinn, denn weite Wege belasten die Umwelt. Umso mehr, wenn die Güter gekühlt transportiert werden müssen – wie zum Beispiel Blumen. Bei Blühendem aus dem Ausland sind zudem gesundheitsschädliche Pestizidrückstände nicht auszuschliessen. Die Kontrollen an den Grenzen fehlen und viele Blumen und Pflanzen, die aus der EU eingeführt werden, haben ihren Ursprung irgendwo auf der Welt – wo andere Gesetze gelten. Bei einer so durchzogenen Bilanz ist es kein Wunder, dass Slowflower-Blumen, die strikt regional und saisonal produziert werden, immer mehr Aufmerksamkeit und Sympathie erhalten.
Ein Entscheid mit Folgen
Fakt ist, dass je nach Schätzung zwischen 80 und 95 Prozent der Schnittblumen importiert werden. Gemäss der Schweizerischen Zentralstelle für Gemüsebau und Spezialkulturen wurden 2021 zwischen Mai und Oktober in der Schweiz 1478 Tonnen Blumen produziert. Dem stehen im gleichen Zeitraum fast 13 000 Tonnen Importblumen gegenüber. Im ganzen Jahr 2022 wurden laut Statistik des Bundes Schnittblumen im Wert von mehr als 190 Millionen Franken eingeführt. Im Vergleich zu den Schweizer Blumen ist die Importware günstig. Einerseits, weil sie in viel grösseren Betrieben produziert wird und das Lohnniveau im Ausland um einiges tiefer ist. Andererseits, weil seit 2017 die Importzölle auf Schnittblumen schrittweise auf das Niveau der vergünstigten Kontingente gesenkt wurden. Das heisst, Importe aus Europa zum Beispiel können seither auch während der inländischen Saison (von Mai bis Oktober) ohne Mengenbeschränkung zollfrei eingeführt werden. Dieser Entscheid fällte 2007 der Bundesrat.
Die Schweiz hat bei den Zollverhandlungen quasi die Schnittblumen zugunsten von anderen Agrargütern wie Lebensmitteln geopfert. Die dadurch verschärfte Konkurrenz aus dem Ausland hat zu einer Abnahme der Schweizer Produktionsbetriebe geführt. Einer der wenigen, reinen Schnittblumenproduzenten, der überlebt hat, ist Vetterli Schnittblumen im aargauischen Jonen. Die Blumen wachsen fast ausschliesslich unter Glas, beheizt mit Holz des nahegelegenen Forstbetriebs. Geschäftsleiter Jürg Rüttimann ist zufrieden mit dem Geschäft. Die Nachfrage sei gross. Vetterli Schnittblumen setzt auf Qualität und Service. Damit könnten sie es mit den Massenproduktionen aus dem Ausland aufnehmen, so Rüttimann. Obwohl die Kundschaft online jederzeit die Preise mit den Billiganbietern vergleichen könne, sei sie bereit, die höheren Preise zu bezahlen. «Sie weiss, dass sie dafür Blumen erhält, die länger halten und die allesamt schön und brauchbar sind.» Im Winter sind das die Tulpen, in den wärmeren Monaten vor allem die speziellen Gerbera-Sorten, die Alstromeria, Gloriosa und Staticen.
Am anderen Ende des Aargaus, in Reitnau, liegen die Felder des Blumenbauers Martin Häfliger. Mit der Biogärtnerei Häfliger bedient er die Kundschaft von Frühling bis Herbst mit Freilandblumen in Bio-Qualität. Mit seinem Angebot will er die Sortenvielfalt fördern, die durch die ausländischen Grossproduktionen verloren gehe – und füllt damit eine Nische. In der Biodiversität unter freiem Himmel sieht er die Zukunft. «Die Energiepreise werden weiter steigen, für fossile Brennstoffe sowieso. Jene, die heizen, werden einen schweren Stand haben», so Häfliger. Den Winter überbrücken Häfligers mit Trockenblumen, Adventsfloristik und Topfpflanzen. Aber der Ertrag sei nicht vergleichbar; der Sommer muss genug einbringen. Alles, was sie nicht zum Leben brauchen, lässt Häfliger zurück in den Betrieb fliessen, sodass er immer auf dem neuesten technischen Stand ist. «Im Herbst bin ich jeweils Millionär und im Frühling ein Bettler», sagt er und lacht.
Ein Hürdenlauf
Die Nachfrage nach Schweizer Blumen ist da, bei den Endkundinnen wie bei den Floristen. Die bestehenden Produzierenden halten dem Konkurrenzdruck aus dem Ausland erfolgreich stand, mit Nischenprodukten, Service, Frische und Qualität. Und sie punkten mit dem Verkaufsargument des Regionalen. Viele Floristinnen und Floristen schätzen dies. Und wenn sie die Schweizer Blumen als solche kennzeichnen, ist das Verständnis für den Aufpreis, den die höheren Produktionskosten verursachen, bei der Kundschaft häufig gegeben. Dass es trotz der grossen Beliebtheit nicht mehr Anbieter gibt, hat mehrere Gründe. Einer der Knackpunkte ist das Personal.
Bei Vetterli Schnittblumen lägen die Löhne klar über dem im Gesamtarbeitsvertrag vorgeschriebenen Mindestlohn, so Rüttimann. Und trotzdem finden sie nur schwer Leute. «Bei uns wird am Samstagvormittag gearbeitet, und das kommt für viele nicht in Frage.» Blumenproduzent Charles Millo aus Genf macht die gleiche Erfahrung: Sobald er erwähne, dass auch am Samstag oder sogar am Sonntag gearbeitet werden müsse – bei den Tulpen zum Beispiel ein Muss – winkten die allermeisten ab. Er fügt an: «Bei den doch bescheidenen Löhnen in der Branche dürfte es bei den steigenden Lebensunterhaltskosten noch schwieriger werden, Personal zu finden.»
Gemäss Josef Poffet, Bereichsleiter Produktion und Handel von Jardin Suisse verhindern die gesetzlichen Bestimmungen zudem oft Bauvorhaben auf landwirtschaftlichem Gebiet. Die Hürden seien für den Schnittblumenanbau höher als im Lebensmittelbereich, sagt auch Jürg Rüttimann. Es sei sehr umständlich, die Bewilligung für einen Ausbau oder sogar Neubau von Treibhäusern zu erhalten.
Trotzdem optimistisch
Das Problem von Baubewilligungen hat der Freilandanbau nicht, und auch der Energieverbrauch – Kostenfaktor sowie Umweltbelastung – ist ohne beheizte Gewächshäuser sehr viel kleiner. Würde die gesamte Branche nur ein Grad weniger heizen, könnte sechs bis sieben Prozent an Energie eingespart werden, erklärt Poffet von Jardin Suisse. Bei einem kollektiv verzögerten Saisonstart von zwei bis drei Wochen im Frühling sogar bis zu dreissig Prozent. Solche Vorstösse funktionieren aber nur, wenn alle mitmachen – und genau daran ist die Branche bisher gescheitert.
Eine weitere Herausforderung sind die strengen Pflanzenschutzgesetze in der Schweiz. Sie schützen zwar Mensch und Umwelt, die Pflanzenpflege wird aber komplizierter – gerade bei den Rosen. Norbert Schaniel von Schaniel Gartenbau und Floristik in Malans GR, hat die Umstellung auf sich genommen (siehe vorhergehende Seiten). Charles Millo in Genf hat seine Rosenproduktion eingestellt, weil er den Schädlingen nicht mehr genug entgegensetzen konnte. Er setzt dafür auf Pflanzen, die heikel sind im Transport und daher nicht so einfach importiert werden können, wie Hortensien oder Callas. Pfingstrosen baut er im Tunnel an, um sich einen zeitlichen Vorsprung zum Ausland zu sichern. Trotz aller Schwierigkeiten ist Millo optimistisch. Durch innovative Projekte, wie seine bereits vor 12 Jahren gebaute Biogas-Anlage, könnten Schweizer Blumen am Markt auch in Zukunft bestehen.
Hoffnungsschimmer aus der EU
Auch wenn die inländische Produktion gesteigert werden kann, wird die Einfuhr von Schnittblumen für Floristinnen und Floristen noch lange die wichtigste Einkaufsquelle darstellen. Um deren negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt, einschliesslich der Anbaugebiete in den Ursprungsländern, entgegenwirken zu können, fehlt die Transparenz. Es ist aber ein Umdenken im Gang. Die grossen Handelsdrehscheiben wie Royal Flora Holland verlangen von ihren Lieferanten immer öfter, dass sie sich zertifizieren lassen. Diverse Labels, die nachhaltige Anbaukriterien garantieren sollen, sind bereits im Einsatz oder im Aufbau.
Josef Poffet von Jardin Suisse begrüsst diese Entwicklung. «Wenn sie richtig umgesetzt und auch kontrolliert werden, dann nützen solche Zertifizierungen auch etwas.» Er setzt seine Hoffnung in die EU, die den Takt vorgeben werde. Solche Labels würden den Floristinnen und Floristen den Einkauf von verantwortungsvoll produzierter Ware vereinfachen – diese ist heute schwer von konventionell angebauter zu unterscheiden. Die Fortschritte in diese Richtung sind ermutigend. Durch die angepassten Produktionsweisen im Ausland dürften sich die Preise denjenigen der Schweizer Blumen annähern. Das lässt die Perspektiven der hiesigen Produktion gleich etwas rosiger aussehen.
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